Projekt
Vom „Orient
in Österreich“ zu „Österreich
im Orient“:
Die Anfänge der zionistischen Literatur im deutschen Sprachraum
Zu den bisher wenig beachteten Phänomenen
der deutschen Kulturgeschichte und des deutsch-jüdischen Verhältnisses
gehört die historische Bewegung des Zionismus, die im Wien Theodor Herzls
ihren Ausgang nahm und in den folgenden Jahrzehnten zum kontrovers diskutierten,
künstlerisch fruchtbaren Phänomen v. a. in den Zentren der deutsch-jüdischen
Kulturlandschaft, Wien, Berlin und Prag, wurde, bis die Herrschaft des
Nationalsozialismus dieses Kapitel beendete und Zionismus zu einer existenziell
notwendigen, aber für viel zu wenige Juden in Deutschland und Europa realisierbaren
Möglichkeit wurde, ihr Leben zu retten.
Wenn Zionismus heute mit dem Ergebnis
der jüdischen Nationalbewegung, dem 1948 gegründeten Staat Israel, gleichgesetzt
und in seiner tagespolitischen Realität reflektiert wird, droht vergessen
zu werden, daß diesem Ergebnis eine Entwicklung vorausging, deren Ursprung
wesentlich im Habsburgerreich liegt, und daß diese Situierung sich ideell,
sprachlich und ästhetisch ausgewirkt hat. Erst die westeuropäische, genauer:
deutsche Einkleidung des politischen Zionismus verhalf ihm zu internationaler
Beachtung und führte dazu, ihn als eine Strömung vor dem Hintergrund deutscher
Kultur zu rezipieren – wenigstens im Ausland. In den deutschsprachigen
Ländern hingegen war die Aufmerksamkeit eher gering, und Herzls Erwartung,
er müsse den deutschen Kaiser bitten: „Lassen Sie uns ziehen!“,
erwies sich nicht nur im Hinblick auf Wilhelm II. als Fehleinschätzung.
Die Gleichgültigkeit gegenüber den zionistischen
Aktivitäten kultureller und politischer Art zwischen 1890 und 1933 hält
bis heute an: Zionismus scheint keine wichtige Episode in der deutschen
oder österreichischen Geschichte, wenigstens kein Kapitel, das die hiesige
Geschichtsschreibung für besonders erwähnenswert hält. Der Befund tritt
noch deutlicher zutage, wenn man im Bereich der Literatur, traditionell
dem fruchtbarsten Feld der sogenannten deutsch-jüdischen Symbiose, nach
Spuren der zionistischen Idee und Folgen einer - durchaus vorhandenen
- zionistischen Literaturpolitik und Poetik sucht. Zionistische Literatur
ist weder in der Zeit ihrer Entstehung und Verbreitung noch in der späteren
Literaturgeschichtsschreibung als genuiner Teil deutscher Literatur zur
Kenntnis genommen oder gar gewürdigt worden. Dabei ist diese so weit in
die Ferne - nach Palästina, Uganda oder Südamerika - weisende Literatur
ein Dokument dessen, was in ihrem Nahbereich, den Ländern ihrer Entstehung
und Rezeption, vor sich ging.
Eine heutige Untersuchung zum Thema „Zionismus
und deutsche Literatur“ sollte deshalb ganz bewußt von Deutschland
aus und aus deutscher Perspektive unternommen werden. Das Projekt beschreibt
und analysiert die identitätsbildende oder -unterminierende Funktion des
zionistischen Gedankens für deutschsprachige Autoren jüdischer Herkunft
v. a. in Wien, Berlin und Prag zwischen 1890 und 1933. Neben der Dokumentation
geht es um die Analyse der poetischen und politischen Diskursivierungen
der Idee eines jüdischen Staates und deren impliziten Zusammenhang mit
dem Status der Juden in Deutschland und Österreich.
Die Untersuchung gliedert ihren Gegenstand
in einzelne Parzellen, die sich als Leitthemen in Literatur und Historiographie
des Zionismus erwiesen haben: die Pogrome in Osteuropa, die Dreyfus-Affäre,
der Erste Weltkrieg, die Ostjuden und die Palästinareisen. Anhand dieser
zionistischen ‚Narrative', die Ereignis- und Narrationsgeschichte miteinander
verknüpfen, sollen Leitbegriffe des zionistischen Diskurses wie Heimat
und Staat in ihrer historischen Dynamik und in ihrer Funktion
in Kunst und Belletristik anschaulich beschrieben werden.
Entstehen soll eine Gesamtdarstellung
zum Thema „Zionismus und deutsche Literatur“, die den Zusammenhang
zwischen politischem Zionismus, Literaturpolitik, Selbstverständnis deutsch-jüdischer
Autoren und zionistischer Poetik analysiert und in den Kontext deutscher
Literaturgeschichte, näherhin der Literatur der Jahrhundertwende, einordnet.
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