Dr. Alexandra Pontzen

A.Pontzen@ulg.ac.be


Projekt

Vom Orient in Österreich“ zu Österreich im Orient“:
Die Anfänge der zionistischen Literatur im deutschen Sprachraum

Zu den bisher wenig beachteten Phänomenen der deutschen Kulturgeschichte und des deutsch-jüdischen Verhältnisses gehört die historische Bewegung des Zionismus, die im Wien Theodor Herzls ihren Ausgang nahm und in den folgenden Jahrzehnten zum kontrovers diskutierten, künstlerisch fruchtbaren Phänomen v. a. in den Zentren der deutsch-jüdischen Kulturlandschaft, Wien, Berlin und Prag, wurde, bis die Herrschaft des Nationalsozialismus dieses Kapitel beendete und Zionismus zu einer existenziell notwendigen, aber für viel zu wenige Juden in Deutschland und Europa realisierbaren Möglichkeit wurde, ihr Leben zu retten.

Wenn Zionismus heute mit dem Ergebnis der jüdischen Nationalbewegung, dem 1948 gegründeten Staat Israel, gleichgesetzt und in seiner tagespolitischen Realität reflektiert wird, droht vergessen zu werden, daß diesem Ergebnis eine Entwicklung vorausging, deren Ursprung wesentlich im Habsburgerreich liegt, und daß diese Situierung sich ideell, sprachlich und ästhetisch ausgewirkt hat. Erst die westeuropäische, genauer: deutsche Einkleidung des politischen Zionismus verhalf ihm zu internationaler Beachtung und führte dazu, ihn als eine Strömung vor dem Hintergrund deutscher Kultur zu rezipieren – wenigstens im Ausland. In den deutschsprachigen Ländern hingegen war die Aufmerksamkeit eher gering, und Herzls Erwartung, er müsse den deutschen Kaiser bitten: „Lassen Sie uns ziehen!“, erwies sich nicht nur im Hinblick auf Wilhelm II. als Fehleinschätzung.

Die Gleichgültigkeit gegenüber den zionistischen Aktivitäten kultureller und politischer Art zwischen 1890 und 1933 hält bis heute an: Zionismus scheint keine wichtige Episode in der deutschen oder österreichischen Geschichte, wenigstens kein Kapitel, das die hiesige Geschichtsschreibung für besonders erwähnenswert hält. Der Befund tritt noch deutlicher zutage, wenn man im Bereich der Literatur, traditionell dem fruchtbarsten Feld der sogenannten deutsch-jüdischen Symbiose, nach Spuren der zionistischen Idee und Folgen einer - durchaus vorhandenen - zionistischen Literaturpolitik und Poetik sucht. Zionistische Literatur ist weder in der Zeit ihrer Entstehung und Verbreitung noch in der späteren Literaturgeschichtsschreibung als genuiner Teil deutscher Literatur zur Kenntnis genommen oder gar gewürdigt worden. Dabei ist diese so weit in die Ferne - nach Palästina, Uganda oder Südamerika - weisende Literatur ein Dokument dessen, was in ihrem Nahbereich, den Ländern ihrer Entstehung und Rezeption, vor sich ging.

Eine heutige Untersuchung zum Thema „Zionismus und deutsche Literatur“ sollte deshalb ganz bewußt von Deutschland aus und aus deutscher Perspektive unternommen werden. Das Projekt beschreibt und analysiert die identitätsbildende oder -unterminierende Funktion des zionistischen Gedankens für deutschsprachige Autoren jüdischer Herkunft v. a. in Wien, Berlin und Prag zwischen 1890 und 1933. Neben der Dokumentation geht es um die Analyse der poetischen und politischen Diskursivierungen der Idee eines jüdischen Staates und deren impliziten Zusammenhang mit dem Status der Juden in Deutschland und Österreich.

Die Untersuchung gliedert ihren Gegenstand in einzelne Parzellen, die sich als Leitthemen in Literatur und Historiographie des Zionismus erwiesen haben: die Pogrome in Osteuropa, die Dreyfus-Affäre, der Erste Weltkrieg, die Ostjuden und die Palästinareisen. Anhand dieser zionistischen ‚Narrative', die Ereignis- und Narrationsgeschichte miteinander verknüpfen, sollen Leitbegriffe des zionistischen Diskurses wie Heimat und Staat in ihrer historischen Dynamik und in ihrer Funktion in Kunst und Belletristik anschaulich beschrieben werden.

Entstehen soll eine Gesamtdarstellung zum Thema „Zionismus und deutsche Literatur“, die den Zusammenhang zwischen politischem Zionismus, Literaturpolitik, Selbstverständnis deutsch-jüdischer Autoren und zionistischer Poetik analysiert und in den Kontext deutscher Literaturgeschichte, näherhin der Literatur der Jahrhundertwende, einordnet.




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